Zwischen zwei Ländern
Eine russische Immigrantin erzählt über ihren Umzug nach Deutschland
von Viktoria Kositsin
Wie ist es, in ein fremdes Land zu ziehen, ohne die zugehörige Sprache zu sprechen? Ist es schwierig, sich auf eine andere Kultur einzustellen und vor allem, fühlt man sich in einem anderen Land wie zu Hause? Um diese und viele andere Fragen klar zu beantworten, muss man eine solche Umstellung selbst erlebt haben.
Als ich von meinen Eltern erfuhr, dass wir nach Deutschland umziehen, lag unser letzter Ortswechsel erst sechs Monate zurück. Ich war von dieser Neuigkeit erst einmal schockiert und beängstigt, da ich mich gerade erst richtig an meine neue Schule gewöhnt hatte und gerade anfing, Freunde zu finden. Die Freude meiner Eltern konnte ich also gar nicht teilen; vor allem deswegen, weil ich außer dem deutschen ABC kein Wort sprach und verstand. Die Sprache war meine größte Angst. Dazu war ich auch noch nie in Deutschland zu Besuch gewesen und konnte mir davon keine Vorstellung machen. Ich konnte mich nur damit trösten, dass ich über Deutschland schon viel Positives gehört hatte und dass das ja auch der Grund war, warum meine Eltern hierher kommen wollten.
Was dieses Thema anging, war ich nicht sehr gesprächig und teilte noch nicht einmal meiner besten Freundin mit, dass ich umziehen würde. Auch meine Klassenlehrerin erfuhr es erst, als sie meine Mutter einlud, um ihr zu berichten, dass meine Leistungen schwächer geworden seien. Also kam es für die meisten sehr überraschend, dass ich umzog. Auch meine Schulkameraden erfuhren es erst, als ich das letzte Mal meine ehemalige Schule in Russland besuchte.
Die letzten Wochen in Russland waren sehr hektisch und ruhelos. Vor allem dadurch, dass meine Mutter im öffentlichen Dienst stand, konnte sie ihre Arbeit nicht einfach so verlassen. Somit hatten wir in der letzten Woche unsere Tickets, gepackte Koffer, einen Mieter für unsere Wohnung, aber keine Ahnung, ob wir fahren konnten. Schließlich hat sich dann alles wie geplant geordnet, sodass wir zum Schluss fahren durften.
Eine Woche, nachdem wir in Deutschland angekommen waren, brachte mich meine Tante zur Schule. Meine erste Unterrichtsstunde war Religionsunterricht, wovon ich gar nichts wusste, weil wir in Russland keinen Religionsunterricht hatten. Die Klassenräume hier kamen mir viel bunter und gemütlicher als in Russland vor. Auch der Unterricht war entspannter, obwohl ich zuerst kaum etwas davon verstand. Bald konnte ich mich schon mit den anderen verständigen und einige Freundschaften schließen.
Obwohl ich zwischen den Kulturen der beiden Länder nicht viel Unterschied sehe, sind es eigentlich die Kleinigkeiten, die verschieden sind. Diese muss man auch lernen und verstehen. Dazu lernte ich hier einen ganz anderen Umgang mit den Menschen kennen als bei uns. Aber insgesamt sind wir doch alle Menschen und uns ähnlich, egal in welchem Land wir uns befinden.
Viktoria Kositsin, Klasse 10b, Gymnasium Nidda
Foto: Viktoria Kositsin als kleines Mädchen in traditioneller Kleidung in ihrem ehemaligen Heimatland Russland
vdippel - 3. Apr, 21:12